Aktive Räume

Tor Seidel

Strahlende Zukunft, heute schon fast Vergangenheit, trotz „Abschalten“ indes noch radio-„aktiv“ bis in kaum vorstellbare Zeiträume: Ein Blick in den „Abgrund der Zeit“ wird uns abverlangt, der schon einmal die Geologie um 1800 verstörte – Erdentstehung nach Jahrmillionen zu veranschlagen und niemals abgeschlossen, die Einheit von Natur- und Menschheitsgeschichte eine Illusion. Kann man sich künstlerisch noch ohne unmittelbare Interventionsabsicht Gegenständen nähern, die unter moralischen Verdikten begraben sind wie die havarierten Exemplare ihrer Spezies unter Beton? Mit deskriptiver Industriearchäologie sicher nicht. Tor Seidels Innenansichten dieser Nuklearwelten wagen vielmehr den Umweg über die sprachliche und bildliche Repräsentanz dieser hermetischen Sphären, um in den spekulativen Raum einer ursprünglichen Atomtheorie ohne Atomphysik vorzustoßen, zu jenen von Lukrez beschworenen unsichtbaren „Samen der Dinge seit endloser Zeit“. Der Begriff der Kontamination reicht unter solchen Vorzeichen umso weiter – als Schatten auf der Natur-Verbindlichkeit des Menschen als Ganzes. Bodo-Michael Baumunk