Pawlow und Pawlow

Michael Wesely

Der Bildhauer Auguste Rodin meinte, dass, wenn er seine schreitende Skulptur Johannes der Täufer nach einer Momentfotografie gestaltet hätte, sie „den wunderlichen Anblick eines plötzlich gelähmten und in seiner Stellung wie zu Stein gewordenen Menschen gewähren“ würde. Weselys Fotografien erzielen den gegenteiligen Effekt: Die Person scheint sich durch ihre Bewegungen selbst auszulöschen, ihre körperliche Substanz zu verlieren. Die Porträts, die er von verschiedenen Menschen gemacht hat, sind gerade so lange belichtet, wie das Stillhalten vor der Kamera den Moment der Auflösung hinauszögern kann. Das Verschwinden ist angekündigt, aber noch nicht vollzogen, wie beim Pawlowschen Reflex: Der Speichel im Maul des Hundes sammelt sich bereits, wenn ein Signal das Futter ankündigt. Aber vielleicht kommt das Futter gar nicht. Und die fotografierten Personen sind auch nicht verschwunden. Alle sind noch am Leben und heißen mit Nachnamen übrigens Pawlow. Ludwig Seyfarth